Mit den Irrfahrten des Odysseus von Renate Gier-Francke setzt die Glyptothek München ihre Tradition fort, zeitgenössische Kunstwerke neben antiken Skulpturen zu zeigen. Der Bilderzyklus dokumentiert eine Auseinandersetzung sowohl mit Homers Odyssee als auch mit den Werken griechischer Bildhauer. Es handelt sich aber nicht um reine Illustrationen des Epos oder um eine bildliche Nacherzählung. Vielmehr hat die Künstlerin einen ganz persönlichen Zugang zur Dichtung Homers. Gleichzeitig fließen auch zeitgenössische Bildzitate in ihre Arbeiten ein, schlagen Brücken zu politischen Ereignissen unserer Zeit und verleihen den Bildern somit einen aktuellen Bezug.
Der Bildzyklus besteht aus achtzehn hochformatigen Bildern, die in ihrer Gesamtkomposition eine Einheit bilden. Für die einzelnen Bilder wählte die Künstlerin das Format eines doppelten Quadrates, um die Welt der Götter von der Welt der Menschen zu unterscheiden, auch wenn diese wechselnd sich immer wieder durchdringen. Eine Horizont-Zone entsteht, deren Höhe variiert. Alle Bilder sind kompositorisch durch einander überschneidende fortlaufende Kreise wie durch die weiterrollenden Wellen des Ozeans miteinander verbunden - mal mehr, mal weniger sichtbar. Dabei ist stets die Reihenfolge der einzelnen Abenteuer des Odysseus, wie in der Odyssee beschrieben, eingehalten. So sind die Collagen untereinander nicht austauschbar.
Inhaltlich und formal wurden die einzelnen Bilder also eng miteinander verwoben. Trotzdem erzählt jedes Einzelbild zunächst eine eigene Geschichte. Im Begleitband zur Ausstellung, der an der Kasse erhältlich ist, finden Sie den Darstellungen jene Textpassagen aus der Odyssee gegenübergestellt, die die Künstlerin zu Ihren Arbeiten angeregt haben. Es entsteht dadurch eine in sich geschlossene, als fortlaufende Erzählung erfahrbare Kurzfassung des homerischen Epos. Der Leser wird so noch einmal mit dem Helden Odysseus auf seine zehn Jahre währende dramatische Reise von Troja ins heimische Ithaka mitgenommen.