25.10.2009 - 29.11.2009
Mit Ariel Schlesinger und Isaac Torres werden vom 25.10. – 29.11.2009 zwei Künstler, deren Werke – zumindest auf den ersten Blick – unterschiedlicher kaum sein könnten, die Ausstellungsräume des Kunstvereins Göttingen bespielen: Schlesingers verspielt-poetische Skulpturen, die von künstlerischer Neugier und Lust am Experiment zeugen, treffen hier auf die sozialkritische Konzeptkunst des Mexikaners Isaac Torres, die basierend auf Recherchen und Kooperationen mit Menschen in deren sozialen Umfeldern aktuelle gesellschaftliche Problematiken in den Blick nimmt.
Dennoch gibt es aller Verschiedenheit zum Trotz gemeinsame Tendenzen und Grundzüge, die sich ausgehend vom Ausstellungstitel entdecken lassen: „Today is the tomorrow you worried about yesterday.“ – Wie das auf amüsante Art verwirrende Wortspiel fordern Schlesingers Arbeiten den Betrachter heraus, indem sie gängige Sichtweisen unterlaufen. Objekte, meist billige Konsumprodukte und Gegenstände des alltäglichen Gebrauchs, werden aus ihren originären Funktionszusammenhängen herausgelöst und neuen Verwendungsweisen zugeführt. So können alte Socken zu Krawatte und Einstecktuch werden oder zwei Bögen Pappkarton, die sich – jeweils um die eigene Achse kreisend – aneinander schmiegen, aufrichten, wieder absinken und voneinander lösen, einen Tanz ohne Ziel und Ende vollführen. Was sich zunächst in erster Linie unterhaltsam ausnimmt, trägt dabei zugleich stets die Möglichkeit der Katastrophe in sich. Durch die Fragilität des Materials erscheint die Skulptur aus den endlos rotierenden Blättern als System, das jeden Moment kollabieren kann, und den abgetragenen Kleidungsstücken haftet in ihrer Schäbigkeit fraglos etwas Melancholisches an.
So wie Schlesingers Objekte ihre Spannung aus dem Nebeneinander von Komik und Tragik, Schock bzw. Trauer und befreiendem Lachen beziehen, spielt auch für Isaac Torres die Verbindung von bedrückender Thematik und Humor eine maßgebliche Rolle, wobei seine Interpretation des Ausstellungstitels jedoch weniger auf einem poetisch-metaphorischen Verständnis desselben beruht, als vielmehr auf einer direkteren und dezidiert politischen Lesart. Im Zentrum steht hier die Auseinandersetzung mit dem Lebensraum Großstadt, seinen sozialen, wirtschaftlichen und politischen Strukturen. Für die Ausstellung in Göttingen hat Torres multimediale Rauminstallationen geschaffen, die unter anderem um das Thema des Sozialwohnungsbaus kreisen, wobei er sich so unterschiedlicher künstlerischer Ausdrucksformen wie Siebdruck, Video, Fotografie und Skulptur bedient. Er konfrontiert die makellosen Fassaden der Wohnblocks, wie sie sich als architektonisches Design präsentieren, mit den oftmals fatalen Folgen der Billigbauweise und regelrechten Massenproduktion von Häusern und führt so das Scheitern der modernistischen Utopie vom günstigen Wohnraum für alle vor Augen.
„Today is the tomorrow you worried about yesterday“ – nicht zuletzt verheißt der kurze Text eine Reflexion des Themas Zeitlichkeit, die bei beiden Künstlern zum Tragen kommt – bei Torres, insofern seine Perspektive immer auch eine historische ist, und bei Schlesinger, insofern er den fragilen Moment inszeniert, in dem der Kreislauf endloser Wiederholungen zu unterbrechen droht und damit letztlich doch auf seine eigene Endlichkeit verweist. (Barbara Reil)
Ariel Schlesinger, geboren 1980 in Jerusalem, lebt und arbeitet heute in Berlin. Isaac Torres, Jahrgang 1982, lebt und arbeitet in Mexiko City. Für ihn ist es die erste Ausstellung in Europa. Beide Künstler waren 2009 im Rahmen eines mehrmonatigen Residenzstipendiums bei den Künstlerhäusern Worpswede zu Gast, wo auch ein Teil der in Göttingen gezeigten Arbeiten entstanden ist.