Mit Giordano Gelli (1928–2011, Atelier La Tinaia, Florenz/Italien) und Véronique Bovet (1976–2011, Atelier CREAHM Fribourg) sind im vergangenen Jahr zwei KünstlerInnen der Art Brut internationalen Ranges verstorben, denen das Museum im Lagerhaus mit dieser Ausstellung eine Hommage widmet. Es handelt sich um zwei sehr unterschiedliche Künstlerpersönlichkeiten, die jedoch manches verbindet. Beide galten in ihrem Lebensraum als gesellschaftliche Aussenseiter: Véronique Bovet als Autistin und Giordano Gelli als Langzeitpatient in der psychiatrischen Klinik.
Gelli wie Bovet haben den Weg in ein Kunstatelier gefunden, das speziell auf Menschen mit psychischen und mentalen Beeinträchtigungen ausgerichtet ist. Doch trotz ihres Eingebundenseins in das Atelier haben beide eine sehr eigene künstlerische Ausdruckskraft entwickelt und ihre Individualität nie verloren.
In beiden Werken steht die menschliche Figur imposant im Zentrum – expressiv bei Gelli, streng komponiert bei Bovet. In Bildern des Menschen zeigt sich das Bild vom Menschen. So ist in diesem Dialog viel über die Künstlerpersönlichkeit erfahrbar.
Monumental rückt Gelli den Menschen ins Bild. Seine kraftvollen Figuren sprengen die Bildformate. Blicken Einzelfiguren frontal aus dem Bild heraus, stehen Paare im Profil eng einander zugewandt in einer Umarmung vereint. Besonders eindrucksvoll sind daneben einzelne, aus Ton modellierte Büsten. Es sind zutiefst existenzialistische Ausdrucksstudien, die Schmerz, Verzweiflung und Verlorenheit verkörpern.
Traumatisiert und schwer verwundet durch einen Bombenangriff im Zweiten Weltkrieg wird Gelli 1951 in die psychiatrische Klinik in Florenz eingewiesen und ab 1970 dauerhaft hospitalisiert. In diese Zeit fallen seine ersten Besuche der Künstlerwerkstatt La Tinaia. Hier beginnt er nach längerer Zeit zu zeichnen und auch wieder zu sprechen. Geredet hat die autistische Künstlerin Véronique Bovet kaum, doch besucht sie das Atelier CREAHM Fribourg seit seiner Gründung 1999 regelmässig. Wo Gelli in freier Geste malerisch aus der Farbe heraus arbeitet, bestechen die Werke Bovets durch eine detaillierte Gliederung. Figur und Raum sind mittels klar abgegrenzter Farbfelder definiert. Ein typisches Merkmal ihrer künstlerischen Arbeit ist das Ausfüllen der Figurzwischenräume mit verschiedenen Mustern, Blumen oder Dingen. Der Bildraum wird dadurch nivelliert: Figuren und Objekte erscheinen körperlos neben- und übereinander gelegt und vor einem raumlosen Grund zu schweben.
Véronique Bovets wie Giordano Gellis Bildfindungen, Kompositionen und Farbgestaltung sind markant. Ist hier der Kontext der Ateliers entscheidend, künstlerisches Arbeiten zu ermöglichen, stehen am Ende jedoch in der Art Brut wie in der professionellen Kunst die starke Künstlerpersönlichkeit mit ihrer individuellen Bildsprache und das Werk.
"Leute sagen oft, dass Malen Spass ist. Nein! Malen ist mein Leben." (Myriam Schoen, Atelier CREAHM Fribourg)