Zum 500-jährigen Reformationsjubiläum setzt das Stadtmuseum Berlin einen besonderen Akzent.
In der Nikolaikirche, einst Zentrum des Brandenburgischen Luthertums, beleuchtet eine Ausstellung anhand einzigartiger, teils erstmals gezeigter Objekte die Ambivalenzen und Widersprüche zwischen Luthers neuer Lehre und der kulturellen und sozialen Praxis.
In der ehemaligen Sakristei erzählt die Sonderschau vom menschlichen Bedürfnis nach Idealen und Idolen, von Schaulust und Berührungsdrang sowie von den fließenden Grenzen zwischen Andenken und Bilderkult. Sie belegt aber auch, wie Luther bewusst inszeniert, politisch instrumentalisiert und kommerziell vermarktet wurde.
Ausgehend von der Zeit Luthers schlägt die Ausstellung einen Bogen bis zur Gegenwart. Die gezeigten Objekte zeugen vom (Be)deutungs- und Wertewandel einer ganzen Epoche, sie dokumentieren die glühende Verehrung, mit der Luther zur Kultfigur verklärt wurde – und seine Lehre somit oftmals in ihr Gegenteil verkehrt. Dabei werden sowohl historische als auch heutige Denk- und Merkwürdigkeiten der Lutherverehrung präsentiert, von denen so manche in pointierter Zuspitzung dem Betrachter einen Spiegel vorhält.
Am Ausgangspunkt der Sonderausstellung steht das Hallesche Heiltumbuch, eine Art Werbekatalog Kardinal Albrechts von Brandenburg für seine seinerzeit in Halle zur Schau gestellte Sammlung von Reliquien. Diese waren Teil des von Luther so leidenschaftlich bekämpften Ablasswesens.
Die Hausbibel des Perlenstickers Hans Plock hingegen ist ein einzigartiges Zeugnis des Lebens und Denkens in der Reformationszeit. Ab 1541 schmückte ihr Besitzer, der zuvor für Kardinal Albrecht kunstvolle Reliquienbehältnisse und Messgewänder gefertigt hatte, diese Luther-Bibel in Verehrung der Reformatoren reich aus und nutzte sie auch als Tagebuch.
Als ein frühes Beispiel der Verkehrung von Luthers Lehren ist eine echte „Luther-Reliquie“ zu sehen: ein Stück Stoff vom Messgewand, das Luther zur Weihe des ersten evangelischen Merseburger Bischofs trug und das später fast bis zur Unkenntlichkeit in „Reliquien“ zerlegt wurde.
Begleitend zur Ausstellung sind vom 1. April bis zum 10. September im Kirchenschiff die Kunstwerke der Nikolaikirche aus dem Reformationsjahrhundert zu sehen. Zum Reformationsjubiläum konnten diese durch Leihgaben weiterer bedeutender Objekte ergänzt werden, die einst zum historischen Bestand der Kirche gehörten. Zum ersten Mal seit 1945 präsentiert sich dieser außergewöhnliche Bilderschmuck damit wieder nahezu vollständig. Ein kostenloses Begleitheft führt durch den Rundgang.
Auch die Sakralmusik in der Nikolaikirche durchlief infolge der Reformation eine Zeit des Übergangs. 1650 erstellte Nikolaikantor Johann Crüger ein Verzeichnis der Notenbestände für den Gottesdienst – darunter neben lutherischer Chormusik auch vorreformatorische Werke und hochmoderne Kompositionen aus dem katholischen Italien. Der Konzertzyklus mit Chorwerken aus Johann Crügers Notenschrank ergänzt die Ausstellung durch musikalischen Zeitreisen am historischen Ort.